2019 Wunder sind möglich

10 x 7 Gedichte
Verlag Nina Roiter, Linz 2019

Layout/Satz: Ulrich Danzmeier, BSc.
Mitarbeit: Sibylle Gandler
ISBN: 978-3-903250-31-4
204 Seiten

Diese Gedichte dokumentieren ein Aufbrechen. Nach einem langen Stummsein war plötzlich wieder möglich zu schreiben.

ich bin aufgesprungen und habe auf das
bereitliegende blatt ENDLICH geschrieben.
mit großen buchstaben. dann, mit noch
größeren buchstaben, ENDLICH
„armer“, 1990

Gesprochene und erinnerte Wörter, Wörter aus Büchern und Lexika, Wörter aus Zeitungen, Wörter vom Tag und von der Nacht, aus Briefen Nietzsches …

Insistierende Wiederholung war notwendig, um das Geschriebene festhalten zu können.
Löschen war notwendig, durcheinander werfen, Manipulation, Erweiterung …

Texte, um den Verstand zu demütigen.
Gedichte, um NICHT zu verstehen.
Gedichte, um wieder an Wunder zu glauben.

Es ist wunderbar, dass es dich gibt

Hörprobe:

Sprecherin: Kerstin Gandler

Video:

Lesungsaufnahme „Lyrik im März“

Text „sich weigern“:

sich weigern
das Notwendige nicht tun
den Stillstand missachten
die Morgendämmerung
das Werkstück nicht beenden
es geht nicht mehr

sich weigern
das Licht blendet die Augen
die Wachheit ertragen
die Perspektive verschiebt sich
müde sein
es ist ein neuer Tag

sich weigern
bei geschlossenem Fenster
der Morgenkälte trotzen
die Augen brennen
die Sonne geht nicht auf
wider besseren Wissens

sich weigern
dich vor den Kopf stoßen
ein ausdrucksloser Blick
die Landschaft provozieren
sitzen und warten
Gelsenstiche zählen

sich weigern
den Ort nicht verlassen
sich im Glas spiegeln
mit niemandem reden
auf den Bildschirm starren
Uhren hören

sich weigern
das Bild von der Wand nehmen
die Geräusche verstärken
beim Schlüsselloch hinaus schauen
jeder Empfindung folgen
die Bücher vor die Tür stellen

sich weigern
die Zählbarkeit der Wolken bemerken
noch ein Blatt vollschreiben
mit geschlossenen Augen
einen Rettungsplan entwerfen
einen Mundschutz anlegen

sich weigern
von einem Auto überrollt werden
den Weg über den Tabor suchen
überrascht sein
die Hände greifen ins Leere
zu atmen beginnen